Unter Büchern

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Samstag, 26. März 2016

Petra Morsbach: Opernroman

Wenn wir im Opernhaus auf unserem plüschroten Klappsessel sitzen und uns verzaubern lassen von Fidelio oder der Zauberflöte, können und wollen wir uns nicht vorstellen, daß es hinter dieser Welt des Zaubers eine andere, sehr realistische, Welt gibt – nämlich die hinter der Bühne. Jenseits des Vorhangs und der Vorstellung.
Über diese Welt jenseits des Vorhangs hat Petra Morsbach ein ganz unglaublich fesselndes Buch geschrieben. Und um es gleich zu sagen: das ist nicht nur für Theater- und Opernfreunde interessant. Jeder, der in einem Betrieb arbeitet, kennt es: der Fisch fängt am Kopf an zu stinken; und die Strukturen von Hierarchie, Eifersüchteleien, Liebeleien, Tratsch und Intrigen ähneln sich immer.
"Opernroman" spielt in einer eher provinziellen Stadt, an einem Dreispartenhaus: Oper, Schauspiel und Ballett. Das Buch nennt sich zwar "Roman", aber ich würde es eher als eine Collage bezeichnen. Es gibt viel Personal darin, und alle eint die Sehnsucht, Karriere zu machen, ganz groß rauszukommen, dieses Provinztheater endlich verlassen zu können. Sie sind beseelt vom Wunsch, große Künstler zu sein, und doch scheitern viele: weil sie zu alt sind; weil der allmächtige Generalmusikdirektor sie klein hält, denn er erträgt nicht, daß jemand besser ist als er selber. Jede der Figuren hat im Verlauf des Romans einmal ihren Auftritt, darf aus der Anonymität raus und vor den Vorhang treten, so daß wir sie lesend erkennen können. Dann tritt sie wieder zurück. Bindeglieder in dem Kosmos unterschiedlichster Charaktere sind Babs und Jan. Babs mit dem großen Herzen und dem klugen analytischen Kopf ist Regieassistentin; und Jan, schwul und aidskrank, ist ausgebilderter Pianist und Dirigent und studiert für 3000 Euro im Monat mit den Künstlern ihre Rollen ein.
Da gibt es das einstmals hochgefeierte Regie-Genie Helmut Glitter. Hat als Bühnenbildner angefangen. Karriere als Regisseur gemacht. Jetzt soll er dem Neustadter Theater zu Beachtung verhelfen mit seiner Inszenierung von Figaros Hochzeit. Glitter ist der Prototyp des selbstverliebten einzig wahren Künstlers: fordernd, laut, destruktiv. Ihm muß sich alles unterordnen: Sänger, Musiker und natürlich auch Mozart.
Oder den Franzosen Laurent, der Konzertmeister ist und vor lauter Hingabe an seine Musik das Leben verlernt hat: "privat wollte er seine Ruhe, er lächelte steif und hörte nicht zu. Souverän war er nur in seiner Arbeit: daheim fühlte er sich überfordert. Kinder lehnte er kategorisch ab. Gefühlsausbrüche ekelten ihn, während seine Frau davon zehrte, und so kam es, daß die Frau an seiner Seite vereinsamte."
Oder Andrea, die Inspizientin, die die fatale Neigung hat, sich immer in die falschen Männer zu verlieben: in den Charakterbariton Dave, der leider zu viel trinkt. Oder in Charlton, den Tenor, der sich nicht von seiner Frau trennen mag.
Petra Morsbach weiß, wovon sie schreibt. Sie hat viele Jahre lang am Theater gearbeitet. Man merkt ihr ihre Sympathie für die meisten ihrer Personen an, sie skizziert sie mit freundlichem Mitgefühl.

Ich habe das Buch sehr langsam gelesen. Denn jedes Schicksal darin hat eigentlich das Zeug zum Roman. Das ist es auch, was mich dann so betört hat: daß die Autorin mir mit ein paar Skizzenstrichen jemanden zeigt, den dann meine Phantasie mit Leben ausfüllen kann.


Copyright: Cornelia Conrad

 

 

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