Unter Büchern

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Donnerstag, 23. Juli 2015

Charles Lewinsky: Melnitz

"Melnitz" war und ist für mich einer der
fulminantesten, temporeichsten, 
Copyright: Cornelia Conrad

atmosphärischsten Romane, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe.
Und da jetzt bald Sommerferien in Ba-Wü sind, möchte ich ihn allen empfehlen, die noch ein dickes und fesselndes Buch für den Urlaub suchen.
Hier ist es!
Charles (sprich: Scharl!) Lewinsky erzählt eine groß angelegte Familiengeschichte.
Groß meine ich in jeder Hinsicht: die Sippe der Schweizer Familie Meijer ist groß – un
d ihre Geschichte über vier Generationen ist groß-artig.
Charles Lewinsky kann schreiben. Das fand ich schon früher, als ich seine kleine Dorfgeschichte "Johannistag" zu einem meiner Lieblingsbücher erkor.
In "Melnitz" nun erzählt Lewinsky vom Lieben, Leben und Sterben der Meijers. Er beginnt 1871 und endet 1945. 1871 ist im Judendorf Endingen die Welt für die Familie Meijer klein und heil. Salomon, der Patriarch, angesehener integrer Viehhändler, bei allen geschätzt und beliebt, hat zwei Töchter: Mimi, die alles Französische liebt, und Chanele, ein angenommenes Kind.
Da taucht eines Tages Janki auf, aus der französischen Armee entlassen, mit einem blutverschmierten Turban auf dem Kopf. Als er den Turban abnimmt, fallen Goldmünzen heraus, die der gerissene Janki dort versteckt hatte.
Janki ist nicht nur listig- er ist auch ehrgeizig. Und hat deshalb schon bald seinen eigenen Stoffladen. Und eine Braut. Beide Salomon-Töchter sind ganz vernarrt in den Tausendsassa Janki – aber natürlich kann ihn nur eine haben.


Donnerstag, 16. Juli 2015

Ludovic Roubaudi: Der Hund von Balard

Copyright: Gaby Murphy
"Dieser Roman ist so schön und so traurig wie ein Lied von Edith Piaf".
Dieses Zitat aus "Le Monde", mit dem der Verlag für den Roman warb, elektrisierte mich. Ich mußte lesen. Sofort.
Das war vor etlichen Jahren. Und was selten genug ist: ich erinnere mich immer noch sehr genau an die melancholische Stimmung des Buchs, an seinen Klang und an seine Menschen.
Jetzt habe ich es noch einmal gelesen – und bin aufs Neue hingerissen. Von der Geschichte. Aber vor allem: wie diese Geschichte erzählt wird.
Eine Handvoll hartgesottener Männer, die nichts mehr zu verlieren haben, weil sie schon längst alles verloren haben, arbeiten in einem Pariser Vorort als Zeltbauer. Es ist ein Knochenjob, der Muskeln und Durchhaltevermögen braucht. Mehr nicht. Die Woche über wird malocht bis zum Umfallen, am Wochenende wird der Lohn versoffen. Nur einer hat eine kleine Wohnung, die anderen schlafen in ihrem Auto oder unter freiem Himmel. Einmal in der Woche gehen sie ins Städtische Bad, um den verkrusteten Schmutz auf dem Körper loszuwerden. Hin und wieder gibt es eine ordentliche Schlägerei, aber irgendwie hängen sie aneinander, diese unterschiedlichen Menschen in ihrem lecken Boot. Jeder der Männer hat eine Geschichte, über die er nicht redet, und es gilt als ausgemachtes Tabu, nicht danach zu fragen. Keine Vergangenheit, keine Zukunft – nur eine Gegenwart, von starken Muskeln zusammengehalten. Jeder der Männer ist irgendwann im Fallen bei Marco gelandet, dem Chef der Truppe. Der hat Grips, ist streng und gerecht, wird von allen respektiert und hält seine Jungs zusammen.
Eine Perspektive gibt es schon lange nicht mehr. Und das Leben ist so hart, daß Denken, Nachdenken ein Luxus wäre, den man sich nicht leisten kann.

Da läuft diesen harten Kerlen ein runtergekommener, halb verhungerter Köter zu.