Unter Büchern

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Montag, 30. November 2015

Kveta Legátová: Der Mann aus Zelary

"Der Mann aus Zelary"
Copyright: Cornelia Conrad
(sprich: "schelarie")
 mit stimmhaftem "sch" wie im französischen"George") –
das ist eine der zartesten, berührendsten Liebesgeschichten, die ich je gelesen habe.
Die Ich-Erzählerin, eine junge Ärztin, läßt uns neben sich hergehen: Tschechoslowakei 1942. Besetzt von deutschen Truppen. Sie, die Protagonistin, arbeitet in einer Widerstandsgruppe als Botin.
Nachdem sie ihrer Enttarnung nur knapp entkommen ist, entscheidet ihre Gruppe:
"du mußt untertauchen".
Was liegt näher, als sie mit Joza in dessen abgeschiedenes Bergdorf zu schicken.
Die junge Ärztin hat diesen Joza im Krankenhaus betreut, sie hat ihn zusammengeflickt, sie hat ihm das Leben gerettet. Sie saß oft an seinem Bett und hörte sich völlig verzaubert dessen Geschichten aus Zelary an.
Aber das ist etwas ganz anderes, als mit diesem tumben, einfältigen Bauern – der ganz schnell aus dem Krankenhaus entlassen wird und von der Ärztin nach Hause begleitet werden soll – ein (vorläufiges!) gemeinsames Leben zu leben.
Damit ihre neue Identität auch wirklich sicher ist, soll sie ihn nämlich auch noch heiraten.





Donnerstag, 19. November 2015

Jane Gardam: Ein untadeliger Mann




Copyright: Cornelia Conrad
Dieser "untadelige Mann" ist ein sehr raffiniertes und hin-tergründiges Buch!
Und ich bin hin und weg von der Kunstfertigkeit der Autorin. Denn: natürlich ist "der untadelige Mann"überhaupt nicht untadelig. Er wirkt nur so. Weil er diese Rüstung der Untadeligkeit so lange trainiert hat, daß er schließlich selbst dran glaubt.
Edward Feathers ist der Sohn eines britischen Beamten in Malaya. Die Mutter stirbt bei der Geburt. Und da der Vater sich nicht für seinen Sohn interessiert, wächst der, sehr frei und sehr geliebt, bei seiner malayischen Amme auf. Bis er vier Jahre alt ist. Da taucht die Missionarin Auntie May auf und sorgt dafür, daß der kleine Edward nach England in eine Pflegefamilie geschickt wird.

Freitag, 30. Oktober 2015

Helene Hanff: 84 Charing Cross Road


Copyright: Cornelia Conrad
"Ich liebe antiquarische Bücher sehr, die von selbst an der Seite aufklappen, die der frühere Besitzer am häufigsten gelesen hat. Als der Hazlitt ankam, klappte er bei `Ich hasse es, neue Bücher zu lesen´ auf, und ich rief dem Besitzer vor mir, wer immer es gewesen sein mag, lautstark `Kamerad!´ zu." Schreibt Helene Hanff aus New York 1949 an ein Antiquariat in London.

Helene ist eine erfolg- und deshalb mittellose Drehbuchschreiberin. Mit einem riesigen Lesehunger. Da sie das, was sie will, in New York nicht bekommt (oder ihr der Weg ins nächste Antiquariat 5 Blocks entfernt zu weit ist), schreibt sie lieber an Marks & Co in der Charing Cross Road.
 

Die temperamentvolle, selbstironische Bibliomanin ist begeistert von dem Buchhändler in London – 


Mittwoch, 14. Oktober 2015

Lily King: Euphoria

Copyright: Cornelia conrad
Dieses Buch ist ganz großes Kino!
Alles drin: Liebe. Begehren. Eifersucht. Neid. Macht. Zerstörung.
Eigentlich mag ich ja keine Romane, die in exotischen Gegenden spielen – ist mir alles zu weit fort, geographisch und mental.
Aber diese Dreiecks-Geschichte lockte mich so sehr, daß ich den Ort der Handlung in Kauf nahm: Neuguinea. Und – ich wurde sehr belohnt.

Es geht also um eine Frau zwischen zwei Männern: Nell (reale Vorlage: Margaret Mead) ist eine junge amerikanische Anthropologin, die schon berühmt ist und viele Bücher veröffentlicht hat. Sie ist mit ihrem Mann Fen, der auch Anthropologe ist, im Dschungel von Neuguinea unterwegs, erschöpft, entkräftet, krank – und ohne rechte Erfolge. Die beiden haben den richtigen Eingeborenenstamm noch nicht entdeckt, an dem sie Feldforschungen betreiben könnten. Da treffen sie zufällig auf einen Kollegen, den Engländer Andrew Benson...



Freitag, 18. September 2015

Harper Lee: Wer die Nachtigall stört


Weil dieser Klassiker (schon wieder ein Begriff,
Copyright: Cornelia Conrad
der Vatermörder und Zwicker und Biedermeier
impliziert....!), also, weil dieser Klassiker nun in jedem Schaufenster liegt, in jeder Zeitung erwähnt wird, habe ich mich erinnert, daß er auch bei mir seit Jahrzehnten im Bücherregal steht. Ungelesen. Denn ich fürchtete immer, daß eben das, was schon meine Eltern (über die Deutsche Buchgemeinschaft) bezogen und in ihr Regal gestellt hatten, nic
hts anderes sein könne als angegrauter Kitsch. "Wer die Nachtigall stört": wieder so ein betulicher Mist aus den 1960er Jahren...

Wie schade, daß ich mich durch meinen Hochmut um die Lesefreude an einem großartigen Buch gebracht hatte. Bis jetzt. Denn jetzt habe ich sie, die Freude, endlich – und will Euch schleunigst nicht nur daran teilhaben lassen, sondern Euch zum Lesen verfü
hren!
Der Roman fängt sehr gemächlich an. Er führt uns 1935 in ein Nest in den Südstaaten. Dort leben viele Weiße in der angestammten Mittel- und Oberschicht – und einige Schwarze: als Köchinnen, Putzfrauen, Baumwollplücker oder Arbeitslose am Rand der hermetisch abgeriegelten weißen Bürgerlichkeit. Die Hauptfiguren des Romans sind: die achtjährige Scott und ihr elfjähriger Bruder Jem sowie deren Vater, von allen Atticus genannt.





Samstag, 5. September 2015

Elizabeth von Arnim: Fräulein Schmidt und Mr. Anstruther

Copyright: Cornelia Conrad
"Meine liebe junge Dame, Sie haben wohl kürzlich wieder nur von Gemüse gelebt?"
"Warum?"
"Ihre Gedanken scheinen mir wäßrig."
Das ist nur eine von ganz vielen Stellen, die ich in Elizabeth von Arnims Buch angestrichenichen habe. Man könnte ständig anstreichen in diesem köstlichen Roman.
Elizabeth von Arnim ist vielleicht einigen von Euch bekannt. Verzauberter April?!
Sie hat aber noch viel mehr geschrieben – und das ist leider alles ziemlich in der Versenkung verschwunden. Wie schade. Die Autorin ist für mich mit ihrer Ironie, ihren klugen und kurzweiligen Plots eine nachgeborene Schwester Jane Austens. Ich habe alle Romane von Elizabeth von Arnim gelesen und möchte Euch heute mit meiner Begeisterung für diese Autorin anstecken.

Rose-Marie lebt mit ihrem Vater und der Stiefmutter in sehr bescheidenen Verhältnissen. Der Vater ist Geisteswissenschaftler, die Stiefmutter frömmlerisch und spießig. Um die Haushaltskasse aufzubessern, nimmt die Familie einen jungen Engländer auf, der Deutsch lernen möchte. Nach einem Jahr reist er wieder ab, nicht ohne am Abend vor seiner Abreise noch Rose-Marie seine Liebe zu gestehen. Rose-Marie schwebt auf Wolke sieben.
Aber erst muß Roger in England noch Examina ablegen.

Donnerstag, 20. August 2015

Lily Brett: Chuzpe


Copyright: Cornelia Conrad
Ich besuchte eine Freundin. Da sie einen Bücherhaushalt hat, nahm ich nichts zu lesen mit, denn ich verließ mich auf die Fülle ihrer Regale.
Nach einem Tag voller gesprochener Worte brauchte ich abends noch welche zum Lesen.
Sie drückte mir dieses Buch in die Hand – und ich wußte: wenn ihr das gefallen hat, dann gefällt es mir auch. Ich fing an zu lesen, lieh es mir aus, las zu Hause weiter – und am Ende des Tags war ich fertig, klappte das Buch zu, glückselig über solchen Lesegenuß. Drückte es meinem Liebsten in die Hand: hier, lies.
Und ging an mein Bücherregal, um zu sehen, ob ich von der Autorin noch was anderes hätte. Da traf mich der Schlag – da steht doch tatsächlich (seit Jahren! Ungelesen!)
Chuzpe
von Lily Brett.
Und deshalb sind Empfehlungen so wichtig!

Ruth ist eine recht zwanghafte Frau mittleren Alters, die in New York lebt. Sie liebt Wörter, liebt es, sie hin- und herzuschieben. Deshalb hat sie eine Firma gegründet, in der sie Auftragsbriefe schreibt und Glückwunschkarten mit an-sprechenden Texten zu allen möglichen Gelegenheiten entwirft und vertreibt. Damit ist sie sehr erfolgreich. Auch beim Achten auf ihre Linie ist sie erfolgreich – sie verzichtet auf alles, was gut schmeckt, denn das hat zu viele Kalorien. Sie ist ein Workaholic und ein Kontrollfreak.
Als ihr 87jähriger Vater Edek von Australien nach New York zieht, um ihr näher zu sein, stellt er ihre Firma auf den Kopf. Und wenn er nicht so hinreißend liebenswürdig wäre, ginge er Ruth bald auf den Wecker. Aber sie liebt ihn und läßt ihn gewähren. Tonnen von Papier, Kisten voller Kulis, ein Staubsauger mit Navigationssystem werden geliefert, weil Edek irgendwo Sonderangebote entdeckt hat.

Donnerstag, 6. August 2015

Oliver Storz: Die Freibadclique

Copyright: Cornelia Conrad
"Ich weiß noch: das Licht. Diffus,dunstig, sonnenlos, hellgrau-flach, eine glatte  Flanellhimmelsdecke, durch deren Gewebe die
die Hitze heruntergepresst wurde auf Fleisch, Gras undWasser."
Da sitzen sie im Freibad auf dem sommerheißen Steinmäuerchen und schmachten Lore hinterher: Zungenkuss, Bubu, Hosenmacher, Knuffke und der Ich-Erzähler. Es ist Nachmittag, im Schwimmbecken kreischen und juchzen Kinder. Über ihnen "eine langsam zuwachsende Lärmschneise, die ein Düsenjäger in den Himmel gerissen hatte." Aber Lore im roten Badeanzug beachtet die 15jährigen Bengel nicht, sie ist vier Jahre älter – also Lichtjahre entfernt.
Es ist der Sommer 1944. Die Jungs der Freibadclique interessieren sich nicht für den Krieg, sie interessieren sich mehr dafür, wie sie in Filme kommen, die nicht jugendfrei sind und für Feindsender, in denen sie Duke Ellington, Benny Goodman und Glenn Miller hören können. Sie sind cool, sie haben ein freches Mundwerk, sie philosophieren schnoddrig über das, was sie bewegt: Mädels, Schule schwänzen, hin und wieder auch die Knallchargen in Berlin; Gefühle werden in Halbstarkenmanier übersprungen. Trotzdem haben alle vier hinter ihrer scheinbaren Lässigkeit eine zarte und verletzliche Seele, in der die Angst kauert. Denn sie wollen leben. Allen voran Knuffke, der Berliner Junge, der in der schwäbischen Kleinstadt gelandet ist und der reifer und weiter ist als die anderen drei, weil er als Flüchtlingskind ohne Eltern überleben muß und will. "Bleib übrig!"

Donnerstag, 23. Juli 2015

Charles Lewinsky: Melnitz

"Melnitz" war und ist für mich einer der
fulminantesten, temporeichsten, 
Copyright: Cornelia Conrad

atmosphärischsten Romane, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe.
Und da jetzt bald Sommerferien in Ba-Wü sind, möchte ich ihn allen empfehlen, die noch ein dickes und fesselndes Buch für den Urlaub suchen.
Hier ist es!
Charles (sprich: Scharl!) Lewinsky erzählt eine groß angelegte Familiengeschichte.
Groß meine ich in jeder Hinsicht: die Sippe der Schweizer Familie Meijer ist groß – un
d ihre Geschichte über vier Generationen ist groß-artig.
Charles Lewinsky kann schreiben. Das fand ich schon früher, als ich seine kleine Dorfgeschichte "Johannistag" zu einem meiner Lieblingsbücher erkor.
In "Melnitz" nun erzählt Lewinsky vom Lieben, Leben und Sterben der Meijers. Er beginnt 1871 und endet 1945. 1871 ist im Judendorf Endingen die Welt für die Familie Meijer klein und heil. Salomon, der Patriarch, angesehener integrer Viehhändler, bei allen geschätzt und beliebt, hat zwei Töchter: Mimi, die alles Französische liebt, und Chanele, ein angenommenes Kind.
Da taucht eines Tages Janki auf, aus der französischen Armee entlassen, mit einem blutverschmierten Turban auf dem Kopf. Als er den Turban abnimmt, fallen Goldmünzen heraus, die der gerissene Janki dort versteckt hatte.
Janki ist nicht nur listig- er ist auch ehrgeizig. Und hat deshalb schon bald seinen eigenen Stoffladen. Und eine Braut. Beide Salomon-Töchter sind ganz vernarrt in den Tausendsassa Janki – aber natürlich kann ihn nur eine haben.


Donnerstag, 16. Juli 2015

Ludovic Roubaudi: Der Hund von Balard

Copyright: Gaby Murphy
"Dieser Roman ist so schön und so traurig wie ein Lied von Edith Piaf".
Dieses Zitat aus "Le Monde", mit dem der Verlag für den Roman warb, elektrisierte mich. Ich mußte lesen. Sofort.
Das war vor etlichen Jahren. Und was selten genug ist: ich erinnere mich immer noch sehr genau an die melancholische Stimmung des Buchs, an seinen Klang und an seine Menschen.
Jetzt habe ich es noch einmal gelesen – und bin aufs Neue hingerissen. Von der Geschichte. Aber vor allem: wie diese Geschichte erzählt wird.
Eine Handvoll hartgesottener Männer, die nichts mehr zu verlieren haben, weil sie schon längst alles verloren haben, arbeiten in einem Pariser Vorort als Zeltbauer. Es ist ein Knochenjob, der Muskeln und Durchhaltevermögen braucht. Mehr nicht. Die Woche über wird malocht bis zum Umfallen, am Wochenende wird der Lohn versoffen. Nur einer hat eine kleine Wohnung, die anderen schlafen in ihrem Auto oder unter freiem Himmel. Einmal in der Woche gehen sie ins Städtische Bad, um den verkrusteten Schmutz auf dem Körper loszuwerden. Hin und wieder gibt es eine ordentliche Schlägerei, aber irgendwie hängen sie aneinander, diese unterschiedlichen Menschen in ihrem lecken Boot. Jeder der Männer hat eine Geschichte, über die er nicht redet, und es gilt als ausgemachtes Tabu, nicht danach zu fragen. Keine Vergangenheit, keine Zukunft – nur eine Gegenwart, von starken Muskeln zusammengehalten. Jeder der Männer ist irgendwann im Fallen bei Marco gelandet, dem Chef der Truppe. Der hat Grips, ist streng und gerecht, wird von allen respektiert und hält seine Jungs zusammen.
Eine Perspektive gibt es schon lange nicht mehr. Und das Leben ist so hart, daß Denken, Nachdenken ein Luxus wäre, den man sich nicht leisten kann.

Da läuft diesen harten Kerlen ein runtergekommener, halb verhungerter Köter zu.

Freitag, 19. Juni 2015

Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche

Copyright: Cornelia Conrad
"Die Begierde zerstört alles, was ihr in den Weg kommt".
Das ist ein bezauberndes, federleichtes Buch - mit ganz viel Niveau und mit ganz viel Futter für unsern Kopf. Man liest es an einem Sommerabend – aber das, was es bietet, mäaandert noch lange durch unsere Gedanken...
Was würden wir tun, wenn wir im Lotto eine Million gewännen?
Oder sogar18 Millionen?
Jocelyne, die Heldin dieses Romans, tut ganz bestimmt nicht das, was man normalerweise erwartet – aber da bin ich schon  mittendrin in dem klugen Buch, das mir auch beim zweiten Lesen gut gefallen hat:
Diese Jocelyne ist seit vielen Jahren verheiratet. Die Ehe ist abgenutzt, man hat sich nicht mehr so viel zu sagen, die Träume haben sich verflüchtigt, aber dennoch: Jocelyne liebt ihren Mann. Meistens. Die Kinder sind aus dem Haus, der Vater lebt nach einem Schlaganfall nur noch in Gegenwarten, die jeweils sechs Minuten dauern, danach "geht der Zähler der Erinnerung wieder auf null". Von dem Satz in ihrem Tagebuch aus Schulzeiten ist schon lange keine Rede mehr: "Ich möchte gern die Chance haben, über mein Leben zu entscheiden".
Ihr Lebensinhalt ist ihr kleiner Kurzwarenladen. 

Donnerstag, 11. Juni 2015

Fred Uhlman: Der wiedergefundene Freund

Copyright: Cornelia Conrad
Ich weiß: Klassiker haben es schwer. Weil wir in der Schule gelernt haben, daß Klassiker zu lesen Arbeit ist? Dabei gibt es so großartige, lesbare Geschichten, die Klassiker geworden sind. Weil sie immer weiter gültig sind in ihren Aussagen. Ich spreche nicht von Goethe oder Schiller, ich spreche von Trouvaillen, von kleinen Perlen im Heuhaufen, die es so lohnt, sie zu finden. Wie zum Beispiel eben diese, für die ich heute eine Lanze brechen will.
Denn ich wünsche mir, daß auch Ihr dieses große Buch kennen- und dann mit Sicherheit lieben lernt.

"Der wiedergefundene Freund" von 1971 ist eine Erzählung, 116 Seiten lang, in der jedes Wort sitzt. Gemeißelte Sätze. Ein anderer Autor hätte für diese Geschichte viele hundert Seiten gebraucht, viele, viele Wörter und – das wage ich zu behaupten – hätte (deshalb? trotzdem?) nicht diese Eindringlichkeit erreicht. Fred Uhlman dagegen hat in seiner Beschränkung aufs Wesentliche, aufs Not-Wendige, ein kleines dichtes Meisterwerk geschrieben. Über eine Freundschaft.
Die Geschichte handelt von Hans Schwarz, einem 16jähigen Jungen, der schüchtern und einsam ist.

Donnerstag, 28. Mai 2015

Dörte Hansen: Altes Land


Copyright: Cornelia Conrad
Ich war sehr skeptisch. Ein Buch, das so gelobt wird, das mir bei Wittwer in Stuttgart wärmstens
empfohlen worden war – es könnte ein Reinfall sein.
So wie Stephan Thomes "Grenzgang", den ich sterbenslangweilig und grottenschlecht fand.
 ABER: ICH BIN HINGERISSEN! So ein wunderbar komponierter, stimmiger Roman! Und die fast neidisch machende Sprache, Bilder von lyrischer Originalität ("Die Wolken zogen ostwärts, als hätten sie Termine")...
Worum es geht?
 Hildegard von Kamcke, ostpreußischer Landadel, strandet am Ende des Kriegs mit Tochter Vera im Alten Land, dem Obstbaugebiet südlich von Hamburg. Bei einer harten Frau, Ida, der die "hergelaufenen Polacken" zuwider sind. Hildegard ist zäh, läßt sich nicht unterkriegen, heiratet den Sohn von Ida. Irgendwann haut sie ab, verläßt ihre Tochter Vera, ihren Mann, den Kriegskrüppel mit dem lahmen Bein und den Albträumen, und zieht mit einem "Bessergestellten"in die Zivilisation Hamburgs, und kriegt noch ein Kind. Marlene.
Jetzt ist Vera alt. Lebt einsam in dem heruntergekommenen riesigen Haus.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Julian Barnes: Vom Ende einer Geschichte

Copyright: Cornelia Conrad
Die Lektüre dieses hinterlistigen Buchs hat Langzeitwirkung.
"Wie oft erzählen wir unsere eigene Lebensgeschichte? Wie oft rücken wir sie zurecht, schmücken sie aus, nehmen verstohlene Schnitte vor? Und je länger das Leben andauert, desto weniger Menschen gibt es, die unsere Darstellung in Frage stellen, uns daran erinnern können, daß unser Leben nicht unser Leben ist, sondern nur die Geschichte, die wir über unser Leben erzählt haben."

Der Roman ist die Geschichte eines Selbstbetrugs. Tony, der "Held", erlebt sich als tough, er macht keine Fehler, eigentlich ist alles in seinem Leben o.k. Und wir gehen ihm erst mal ganz schön auf den Leim.
"Geschichte ist die Summe der Lügen der Sieger", antwortet er seinem Lehrer auf dessen Frage, was Geschichte sei.
Und Tony lebt genau das: die Summe seiner Lebenslügen. Nur, daß er kein Sieger ist für uns als Leser. Für sich selbst natürlich schon.
Im ersten Teil des Romans erzählt uns Tony von der Schülerfreundschaft mit drei Klassenkameraden. Einer von ihnen ist Adrian, ein kluger und analytischer Intellektueller, reif und besonnen, zu ihm fühlt sich Tony besonders hingezogen.
Als der oberflächliche Tony, der zu keinen Gefühlen fähig ist, seine Freundin Veronica an Adrian verliert (die Beziehung war eh am Ende!), ist er tief gekränkt und schreibt einen groben, verletzenden Brief voller Schmähungen und Verwünschungen an das junge Paar.

Und als er von einer längeren Reise heimkommt, erfährt er, daß Adrian sich das Leben genommen hat.



Donnerstag, 30. April 2015

Julie Otsuka: Wovon wir träumten

copyright: Cornelia Conrad
Ich bin überwältigt von diesem Buch. Es klingt. Es klingt wie ein a-capella-Chor.
Sie reisen mit großen Hoffnungen auf ein bessers Leben nach Amerika: junge Japanerinnen, die von ihren Müttern zuhause gefragt worden waren: "Möchtest du den Rest deines Lebens gebückt auf einem Feld verbringen?"
Sie ließen sich anwerben, Anfang des 20. Jahrhunderts, als Ehefrauen für japanische Männer, die schon in Amerika lebten.
In ihren Koffern haben sie "alles, was wir für unser neues Leben brauchten: weiße Seidenkomonos für die Hochzeitsnacht, bunte Baumwollkimonos für jeden Tag, Kalligraphiepinsel, geblümte Seidenschärpen..."
In ihren Köpfen haben sie die Ermahnungen ihrer Mütter: "Halte deine Teetasse mit beiden Händen, bleib aus der Sonne, sprich nie mehr, als du mußt".
Und in ihren Herzen haben sie große Hoffnungen: auf ein schönes Haus. Auf einen Garten voller Tulpen. Darauf, nie mehr auf einem Reisfeld arbeiten zu müssen.
Alles, alles vergeblich.

Donnerstag, 23. April 2015

Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry



copyright: Cornelia Conrad
"Wer bin ich eigentlich", fragt sich Harold. Seine Frau "war so mit ihrem Sohn David beschäftigt, daß sie niemand anderen sah".

 Er selbst ist eigentlich nicht vorhanden. Er hat keine Freunde, er hat keine Sprache, er hat keine Aufgabe, seit er in Rente ist. Er lebt in einem Mausoleum. Seine Frau und er sind sich fremd geworden, sie putzt – mit Vorliebe das Zimmer ihres abwesenden Sohnes, auf den sie schon so lange wartet. Harold kratzt Unkraut von den Gehwegplatten.

Da bekommt er einen Brief. Von Queenie, einer ehemaligen Kollegin. Die er seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Sie schreibt ihm, daß sie Krebs habe und daß sie sich verabschieden wolle. Der unbeholfene Harold schafft es schließlich, Queenie in dürren Worten zu antworten. Und macht sich auf den Weg zum nächsten Briefkasten. An dem geht er vorbei. Auch am nächsten und übernächsten. Als er schon beinahe aus der Stadt hinausgelaufen ist, bekommt er Hunger – und an einer Tankstelle serviert ihm das junge Ding dort nicht nur einen Burger, sondern auch eine Weisheit, die sein Leben auf den Kopf stellen wird: "Man muß daran glauben, daß ein Mensch wieder gesund werden kann. Unser Geist ist viel größer, als wir begreifen. Wenn wir fest an etwas glauben, können wir alles schaffen."


Donnerstag, 9. April 2015

Erri de Luca: Montedidio



copyright Cornelia Conrad
Dieses Buch ist ein Kleinod.Es leuchtet, wenn man es ganz langsam liest.

Aber man kann es gar nicht schnell lesen. Denn in beinahe jedem seiner sorgsamen, sparsamen Sätze stecken noch ganz andere Geschichten als die, die der Ich-Erzähler gerade erzählt.
Er ist 13 Jahre alt. Ein neapolitanischer Junge, der "auch im Winter Sandalen trägt". So schmuggelt de Luca die Information: der Junge ist das Kind armer Eltern... Er arbeitet nach fünf Jahren Schule bei Meister Errico, dem Schreiner, in der Werkstatt.
Abends übt er auf der Dachterrasse des Hauses mit seinem Bumerang. Eines Tages, wenn der Junge stark genug geworden ist, wird er den Bumerang fliegen lassen. "Das ist ein Flügel aus Holz."

Mittwoch, 1. April 2015

Donna Tartt: Der Distelfink

copyright Cornelia Conrad
Hier ist das richtige Buch für alle, die über Ostern beim Lesen versinken möchten – es hat 1 000 Seiten! Leider ist es aber erst gebunden auf dem Markt...

Donna Tartt, vielen durch ihre "Geheime Geschichte" bestens in Erinnerung, erzählt in ihrem neuen Buch eine Geschichte, die mich sofort fesselte: Theo, 13, flüchtet mit seiner Mutter vor dem Regen in New York ins Museum. Seine Mutter ist eine große Kunstliebhaberin, und obwohl sie kein Geld hat (der Ehemann, ein Hallodri, ist abgehauen und hat einen Berg Schulden hinterlassen), ist sie Dauergast im Museum. Vor allem das Bild "Der Distelfink" hat es ihr angetan.

Plötzlich gibt es eine unglaubliche Detonation. Theo gelingt es, sich aus einem Trümmerberg zu befreien und auf die Straße zu retten. Den "Distelfink", der am Boden lag, nimmt Theo einfach mit.


Donnerstag, 26. März 2015

Alain Claude Sulzer: Aus den Fugen


Ich bin hingerissen von diesem schmalen Roman. Er hat solch ein inneres Gewicht, daß ich noch tagelang über die Lektüre nachdachte. Und was gibt es Schöneres, als daß einen ein Roman über die letzte Seite hinaus noch beschäftigt?
Alle machen sich auf in das Konzert des weltberühmten Pianisten Marek Olsberg: die trinksüchtige Sophie mit ihrer ungezogenen Patentochter Klara;  der schwule Claudius, der schon in die Jahre gekommen ist, und sein junger knackiger Freund Nico; die gut verheiratete Esther und ihre sitzengelassene Freundin Solveig. Solveig knabbert an ihrem Verlassensein, Esther weiß von den Eskapaden ihres Mannes noch nichts...

Donnerstag, 19. März 2015

Graeme Simsion: Das Rosie-Projekt


Dieses Buch hätte ich nie gelesen (dieser Titel! dieses Cover!) – wenn es mir nicht zwei kluge junge Frauen begeistert ans Herz gelegt hätten.
Ich las es also. Bis nachts um drei. Zu Ende.
Erzählt wird die Geschichte des autistisch veranlagten Don. Der ist Professor für Genetik. Und sucht ziemlich dringend eine Frau. Aber sie muß perfekt sein.
Der Fragebogen, den er entwickelt, beschert ihm zwar die perfekte Frau –

Donnerstag, 12. März 2015

Guy de Maupassant: Bel Ami

„Wenn man früher unfähig war, wurde man Fotograf; heute wird man Abgeordneter.“          
                                                                                         Guy de Maupassant

Die Novellen Maupassants, die ich auf einer Zugfahrt las, gefielen mir so gut, daß ich endlich, endlich den bekanntesten seiner Romane las: Bel Ami.
Um es gleich zu sagen: es ist ein unglaublich ironisches, kluges Gesellschaftsbild. Maupassant erzählt so packend, daß ich nicht aufhören konnte zu lesen, die folgende Geschichte (die Mitte des 19. Jahrhunderts spielt, aber genauso gut heute handeln könnte).

Donnerstag, 5. März 2015

Catalin Dorian Florescu: Der blinde Masseur


Ein Audi mit Schweizer Kennzeichen fährt durch Rumänien. Am Steuer sitzt Teodor. Im feinen Zwirn. Teodor ist vor zwanzig Jahren mit seinen Eltern aus dem Hochsicherheitstrakt Rumänien geflohen. Er lebt  in der Schweiz, wo er Sicherheitsanlagen (!) verkauft. Seine erste Liebe, Valeria, mußte er damals verlassen, ohne ihr sagen zu dürfen, daß er sie am nächsten Tag und auch am übernächsten nicht mehr treffen  wird.

Montag, 2. März 2015

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben



„Er war stark, aber langsam. Er dachte langsam, sprach langsam und ging langsam, doch jeder Gedanke, jedes Wort und jeder Schritt hinterließen ihre Spuren, und genau da, wo solche Spuren seiner Meinung nach hingehörten.“
Dieser Egger lebt ein Leben, von dem wir, wenn uns irgend jemand davon erzählte, dächten, daß es ein trauriges, trostloses Leben sei.
Aber was Robert Seethaler, dieser wunderbar leise und kluge Erzähler, uns über Egger erzählt, ist eine Geschichte, die  glücklich macht.

Donnerstag, 26. Februar 2015

Ralf Rothmann: Milch und Kohle

Das ist  eines der Bücher, von deren Atmosphäre ich so eingefangen war, daß ich es kurz hintereinander zweimal las. Und ich möchte Euch heute einladen, auffordern, bitten, den wunderbaren Erzähler Ralf Rothmann kennenzulernen. Er nimmt uns hinein in den Mikrokosmos einer Familie:
Simon kommt aus Amerika heim in den Ruhrpott, wo seine Mutter im Sterben liegt.
"Wir hatten ja auch gute Jahre", beschwört sie ihn und sich am Ende ihres Lebens.

Donnerstag, 19. Februar 2015

Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

Was für ein verheißungsvoller Titel! Und er hält, was er verspricht: eine Geschichte, die so hinreißend erzählt wird, daß ich das Buch ohne Pause gelesen, nein verschlungen habe.
Ja, Ihr assoziiert richtig: der Roman handelt im jüdischen Milieu.
Er erzählt in einem genialen Mischmasch von deutscher und jiddischer Sprache die "Menschwerdung" des Helden. Der heißt Mordechai Wolkenbruch und ist 25 Jahre alt. Er studiert an der Uni Zürich. Ansonsten lebt er aber völlig unter der wohlmeinenden (!) Fuchtel seiner Mame, die wie alle jüdischen Mame ihr Kind gut verheiraten will.

Montag, 16. Februar 2015

Irène Némirovsky: Suite Francaise

Bitte habt keine Angst vor dem Thema. Bitte sagt nicht, Ihr hättet genug gelesen über die Zeit. Dieses Buch ist so grandios,  es wird Euch über "dieses" Thema hinaus, über "diese" Zeit hinaus die hohe Kunst des Erzählens zeigen.
Im ersten Teil beschreibt Nemirovsky verschiedene Familien, die in aller Eile das, was ihnen wichtig scheint, zusammenpacken, um möglichst schnell die bedrohte Stadt zu verlassen. Hier ist die christlich gesinnte Frau, die, kaum ist sie mit ihren Kindern auf der Flucht, nur noch an sich selber denkt. Dort ist der Kunsthändler, der sein Porzelklan sorgfältig verpackt, und später, als ihm der Sprit ausgeht, einem jungen Paar das kostbare Benzin stiehlt. Und dort ist der junge Priester, der mit Kindern aus einem Heim aufs Land soll, und der so beziehungsgestört ist, daß es ihm nicht gelingt, Zugang zu den Kindern zu finden.

Donnerstag, 12. Februar 2015

Thomas Hettche: Pfaueninsel

Zuerst hatte ich  Probleme mit dem Buch: ich fühlte mich von der Bildung des Autors etwas in die Enge getrieben.
Aber da ich es von einer Freundin geschenkt bekommen hatte, konnte ich es nicht einfach weglegen.
Und das Wunderbare geschah: das Buch belohnte  mich jeden Abend. Von Seite zu Seite mehr.
Es wurde mein Freund. Auf dessen Gespräch mit mir ich zunehmend gespannter wartete.